Die siebenjährige Mia versteht das Wort Umwelt nicht. Sie weiss wohl, was damit gemeint ist. Doch sie empfindet es als negativ. In ihrer Weisheit ist sie gestern zu mir gekommen und wollte wissen, weshalb wir die Natur so nennen.
In diesem Moment fielen mir die sprichwörtlichen Schuppen von den Augen: Eine Um-welt um-gibt uns! Wenn sie uns um-gibt, sind wir von ihr ausgenommen. Wir können dann nur getrennt von ihr sein.
Abstraktes Klima
Gleiches gilt für das französische Environnement und das englische Environment. Auch das italienische Ambiente geht auf das Verb ambire zurück, was herumgehen oder umgeben bedeutet. Selbst in Schweden ist von der Omvärld die Rede.
Ist uns vielleicht der vielbeschworene Begriff „Klima“ näher?
Das Wort ist altgriechisch und bezeichnet eine Neigung. Aus der Neigung des Sonnenstandes und der daraus folgenden Witterung ist das geworden, was wir heute unter Klima verstehen.
Das ist reichlich abstrakt. Zu abstrakt für unser Hirn, um loszuziehen und etwas fürs Klima zu tun.
Beikraut statt Unkraut
Ist das nun alles Haarspalterei? Mitnichten!
Worte lösen bei uns weit mehr aus, als wir annehmen. Nennen wir etwa eine Pflanze Unkraut, so kann sie nicht nützlich sein. Mit dieser Bezeichnung geben wir sie quasi zur Vernichtung frei. Das weckt unangenehme Erinnerungen an die Rhetorik der Nazis: Ihre Vergleiche von Juden mit Ungeziefer haben gezielt Denkmuster – so genannte Frames – aktiviert, die zu einer Entmenschlichung eines ganzen Volkes geführt haben. Ich wage die Aussage, dass es ohne diese Art von Rhetorik keine Konzentrationslager gegeben hätte.
In der Permakultur hat jede Pflanze ihre Berechtigung und ihren Sinn. Es ist folgerichtig, dass Betreiberinnen und Betreiber dieser Kulturform von Beikraut anstelle von Unkraut sprechen.
Mama Pacha, Mutter Erde
Wie innen, so aussen. Sprache ist immer ein Ausdruck unseres Innenlebens, unserer bisherigen Erfahrungen, unserer Denkmuster. Kein in Einklang mit der Natur lebendes Volk spricht von der Umwelt oder vom Klima.
Die alten Kulturen sahen in der Erde die personifizierte Urmutter von uns allen. Dafür steht die mythische „Gaia“. Bei den indigenen Völker der südamerikanischen Anden heisst die Erde „Mama Pacha“. Auch die Indianer sprechen von Mutter Erde. Ihre Verbundenheit zum Boden und zu jedem Element der Natur ist in diesem Artikel der Uni Münster wunderbar beschrieben.
Sie verstehen sich als eins mit der Natur. Mit dieser Haltung und diesem Gefühl wird es unmöglich, diese zu verletzen. Denn was wir der Welt antun, tun wir uns selber an.
Der Wandel beginnt mit der Sprache
Wie wollen wir etwas schützen, das wir als ausserhalb von uns betrachten? Wie schaffen wir den Schritt vom Lippenbekenntnis zum bewussten Handeln, wenn wir von abstrakten Begriffen sprechen? Dem „Klimawandel“ begegnen wir erst dann, wenn wir die Perspektive wechseln. „Umweltschutz“ ist erst dann möglich, wenn wir uns selber wieder als Teil der Natur verstehen.
Ich lade dich ein, diesen Perspektivenwechsel in Betracht zu ziehen – und ihn in deiner Sprache zum Ausdruck zu bringen. Dadurch wird er Wirklichkeit.
Denn es gilt auch: Wie aussen, so innen. Wenn wir die sprachliche Hülle entfernen, die wir zwischen uns und die Welt gebaut haben, werden wir wieder erkennen, dass wir alle eins sind.
Das wird Mutter Erde freuen. Und mit ihr die siebenjährige Mia.
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