Hast du auch ab und zu Erkenntnisse, die dir unvermittelt bewusst werden? Und gibt es eine Tages- oder Nachtzeit, in der du diese Eingebungen vermehrt hast?

Bei mir sind es vorzugsweise die frühen Morgenstunden, in denen mir die berühmten “Schuppen von den Augen” fallen und sich Erkenntnisse, die sich vorher vage abgezeichnet haben, plötzlich in ihrer Ganzheit offenbaren. Einzig in den – zuweilen langen – Gesprächen mit meiner Freundin treten solche Erkenntnisse unabhängig von Raum und Zeit in ähnlicher Klarheit zutage.

Egal, wie, wann und wo sie mich erreichen, eins lösen diese Aha-Momente auch in mir aus: Den inneren Drang, sie sofort aufschreiben zu wollen. Oft stehe ich mitten in der Nacht auf und beginne, meine Eingebungen in meinem Buch (oder in Form eines Blogs auf meinem Laptop, wie jetzt) festzuhalten.

Wenige Gegenstände sind mir denn auch so wichtig wie mein Notizbuch (und, ja, mein Laptop).

 

Tagebücher und Pendenzenlisten

Mit der Angewohnheit, mir Wichtiges in “mein Buch” zu schreiben, begann ich früh: In meinem Elternhaus befinden sich meine Tagebücher aus Jugendzeiten, mindestens drei Dutzend davon – auf jeder Seite mit Tinte vollgeschrieben, teils mit Fotos, Zeitungsausschnitten und anderen Dokumenten ergänzt.

Diese Tagebucheinträge, die stets mit “Liebes Tagebuch” begannen, waren schon immer eine notwendige Seelenreinigung für mich. Ich kann gar nicht anders, als zum Stift zu greifen, um wesentliche Gedanken aufzuschreiben.

Gleiches gilt für meine To-do-Listen – ich nenne sie seit längerem “Wanna-do-Listen” -, mit denen ich Pendenzen aufs Papier und damit aus meinem Kopf heraus bringe. Zu meinen “Hamsterrad”-Zeiten liessen sie mich oft erst ruhig schlafen. Auch heute beruhigt es mich noch, anstehende Aufgaben schwarz auf weiss zu sehen.

 
Schreiben als Therapie: Personalpronomen und bestimmte Formulierungen helfen

Nebst dem praktischen Nutzen, Wichtiges vom Kopf aufs Papier zu bringen, hat Schreiben für mich den erwähnten reinigenden Effekt. Ich bin überzeugt davon, dass ich unter anderem dank meiner Tagebücher psychisch unbeschadet durch meine Teenagerjahre gekommen bin – auch wenn mir vieles in meinem Leben zufiel und es wenig Anlässe gab, die zu einem Trauma hätten führen können.

Die therapeutische Wirkung des regelmässigen Niederschreibens von bewegenden Ereignissen – auch “expressives Schreiben” genannt – hat der texanische Psychologe James W. Pennebaker Mitte der Achtzigerjahre in einer bahnbrechenden Studie (1) nachgewiesen:

Er bat Studenten, vier Tage lang eine Viertelstunde über ein stark belastendes Ereignis zu schreiben. Diesen Studenten ging es gesundheitlich anschliessend signifikant besser als der Kontrollgruppe, die lediglich über Alltägliches geschrieben hatte.

Dabei sind auch die Art und die Häufigkeit des Schreibens relevant: Pennebaker fand heraus, dass es stärker wirkt, das Erlebte in Form einer zusammenhängenden Geschichte mit vielen Personalpronomen (ich, mir, mich, du, er, sie etc.) zu beschreiben. Weiter ist es hilfreich, über Einsichten und Zusammenhänge mit entsprechenden Formulierungen («Mir wird bewusst, dass…» / «Ich erkenne, weshalb…») zu berichten.


Erfahrungen einer Überlebenden des CIA-Geheimprogramms MK Ultra

Dass es äusserst heilsam ist, seine Erfahrungen und Gefühle zu strukturieren und schriftlich in Worte zu fassen, unterstreicht auch Cathy O’Brien (2).

Cathy ist eine Überlebende des CIA-Geheimprogramms MK Ultra zur Gedankenkontrolle (”mind control”), das gemäss Wikipedia 1953 begann und 1973 eingestellt worden sein soll (was von Whistleblowern und Überlebenden bestritten wird):

“MK Ultra bediente sich zahlreicher Methoden, um den Geisteszustand und die Gehirnfunktionen der Versuchspersonen zu manipulieren, z.B. durch die verdeckte Verabreichung hoher Dosen psychoaktiver Drogen (insbesondere LSD) und anderer Chemikalien ohne deren Zustimmung. Darüber hinaus wurden auch andere Methoden als chemische Substanzen eingesetzt, darunter Elektroschocks, Hypnose, sensorischer Entzug, Isolation, verbaler und sexueller Missbrauch und andere Formen der Folter.” (3)

Im aufschlussreichen (in englisch geführten) Gespräch mit Jean Nolan erläutert Cathy ab Minute 5, was unter “mind control” zu verstehen ist und welche Ziele MK Ultra tatsächlich hat(te): Die flächendeckende Gedankenkontrolle der Bevölkerung mit dem Ziel, diese in einen konstanten Zustand der Angst zu versetzen, leicht lenkbar zu machen und letztlich die neue Weltordnung widerstandslos zu akzeptieren.

 

“Schreib es heraus!”

Cathy wurde als Kind von ihrer Familie dem Programm übergeben. Kurz vor ihrem dreissigsten Geburtstag befreite sie ihr späterer Ehemann und Geheimdienst-Insider Mark Philipps.

Mit ihm begann sie, ihre traumatischen Erfahrungen publik zu machen und die Bevölkerung über die Verbrechen der Regierung aufzuklären. Gemeinsam haben sie unter anderem das Buch “Time To Heal” (Zeit für Heilung) geschrieben. Darin geben sie verschiedene Heilmethoden weiter, mit denen individuelle Traumata oder gesellschaftliche induzierte Programmierungen und Ängste aufgelöst werden können. (4)

In oben erwähntem Gespräch mit Jean Nolan berichtet sie ab Minute 30 von der entscheidenden Methode, die ihr half, ihre schrecklichen Erfahrungen zu überwinden: Dem Aufschreiben sämtlicher Gedanken und langsam wiederkehrenden Erinnerungsfetzen mit einem Stift: “Write it out” – schreib es heraus!

So war sie imstande, die vom Hirn verdrängten Erlebnisse nach und nach wieder in ihr Bewusstsein zu rücken, um sie so zu verarbeiten. Cathy betont, wie wichtig es ist, dafür einen Stift zu benutzen:

“Es braucht den logischen Teil des Gehirns, um einen Stift zu bewegen. Er nimmt die Informationen, die emotional nicht zugänglich sind, auf und überführt sie in die Logik, wo sie aufgeschrieben, bewusst auf einem Papier vor dir betrachtet und dann auf einer bewussten, kritischen, analytischen Ebene angegangen werden können.”

Ob also zur Verarbeitung extremer Traumata wie in Cathys Fall, für die alltägliche Gedankenhygiene oder einfach, um etwas aus dem Kopf zu bringen: Schreiben heilt!

 

Von Hand schreiben – wer kann das noch?

Dazu kommt, dass ich es als wunderschöne Fertigkeit betrachte, einen Brief von Hand – und im besten Fall fehlerfrei – schreiben zu können. Beim seltenen Durchlesen alter Tagebücher staune ich über die gleichmässige Handschrift und die klaren Formulierungen, zu denen ich als Jugendliche in der Lage war.

Die meisten jungen Menschen, die mit Smart Phones und Computern aufwachsen, sind dazu kaum noch in der Lage. Die Fähigkeit, mit der Hand zu schreiben, geht mit der fortschreitenden Digitalisierung immer mehr verloren. Eine Entwicklung, die womöglich ähnlich verheerende Folgen hat wie der Gebrauch von KI: Erste Studien scheinen zu zeigen, dass die Hirnleistung von Probanden, die eigenes Denken zunehmend ihrem KI-Kumpel überlassen, rasch abnimmt. Ein Schelm, der Absicht hinter diesen Entwicklungen vermutet!

Vielleicht vermag der Trend des Journalings, wie der in Wort und Schrift festgehaltene “Blick nach innen” neuerdings heisst, das Schreiben von Hand wieder etwas populärer zu machen. Dieser Form des Niederschreibens wird immerhin attestiert, dass sie zu erhöhter Achtsamkeit, neuen Perspektiven, weniger Angst und Stress, der Aktivierung beider Hirnhälften – durch das gleichzeitige Denken und den Gebrauch einer Hand – sowie anderen namhaften Vorteilen führt.

Ich bin gedämpft optimistisch.

Inzwischen lobe ich mir nach wie vor mein Notizbuch, meinen Kugelschreiber und jedes Blatt Papier, das es noch zu kaufen gibt. Ansonsten bin ich gespannt, welche Eingebung mich das nächste Mal frühmorgens aus dem Bett holt.


(1)

Literaturempfehlungen:

James Pennebaker (2011): Heilung durch Schreiben. Ein Arbeitsbuch zur Selbsthilfe. Hans Huber, Bern

Schramm Stefanie, Wüstenhagen Claudia (2017): Das Alphabet des Denkens. Wie Sprache unsere Gedanken und Gefühle prägt. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg

(2)

Cathys Website: https://trance-formation.com

Trailer (und Kauf) des Dokumentarfilms zu ihrer Geschichte: https://www.trance.movie

Wenig verwunderlich wird Cathy O’Brien auf Wikipedia als Verschwörungstheoretikerin bezeichnet: https://de.wikipedia.org/wiki/Cathy_O%E2%80%99Brien_(Autorin)

Die Formulierungen des Wikipedia-Beitrags sind aufschlussreich: Mit “sie behauptet” oder “ihre Behauptungen werden in der wissenschaftlichen Literatur allgemein für eine Verschwörungstheorie gehalten” liegt ein deutlich erkennbares Framing vor. Diese Art von Wikipedia-Personeneinträgen sind für mich persönlich zu einem sicheren Zeichen dafür geworden, dass der porträtierte Mensch Relevantes zu sagen hat und damit eine Gefahr für das bestehende Establishment darstellt. Doch mach dir am besten selbst ein Bild.

(3)

Sämtliche Filmbeiträge und Informationen, die ich zu MK Ultra gefunden habe, erscheinen mir ebenfalls unvollständig und irreführend. So wird beispielsweise wiederholt erwähnt, dass das Programm vorwiegend im Rahmen des Kalten Kriegs und die Techniken zur Gedankenkontrolle nur gegen gefangene sowjetische Spione eingesetzt werden sollten. Dies dürfte ebenso falsch sein wie die Information, dass das Programm in den Siebzigerjahren beendet wurde.

Dass es um weit mehr ging und sich das Programm auch auf andere Länder ausserhalb der USA erstreckt(e), zeigt das eindrucksvolle Gespräch von Ben {ungeskriptet} mit Florian Homm: https://www.youtube.com/watch?v=mHtI3S1z3Kw. Der aus der deutschen Unternehmerfamilie Neckermann stammende Homm, dessen Lebenslauf sich wie ein Krimi liest, klärt darin über MK Ultra und seine eigenen Erfahrungen in diesem Programm auf (ab Minute 29). Unbedingt sehenswert!

Bericht des Deutschen Spionagemuseums zu MK Ultra:
https://www.deutsches-spionagemuseum.de/2021/04/13/geheimdienstliche-bewusstseinskontrolle-im-april-1953-begann-das-projekt-mkultra 

Veröffentlichtes CIA-Dokument zu MK Ultra (englisch):
https://www.cia.gov/readingroom/docs/project%20mk-ultra%5B15545700%5D.pdf 

BBC-Beitrag zu MK Ultra (7,5 Minuten lang, in englisch):
https://www.bbc.com/reel/video/p0by2ybb/mk-ultra-the-cia-s-secret-pursuit-of-mind-control-


(4)

Das Buch “Time To Heal” von Cathy O’Brien und Mark Phillips ist auf Amazon erhältlich: https://www.amazon.de/-/en/PTSD-Time-Heal-Cathy-OBrien/dp/0692776419

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}
>