Dezember 1, 2025

Es gibt Ausdrucksweisen, bei denen Konflikte geradezu vorprogrammiert sind. Eine davon ist das, was ich den „sprachlichen Übergriff“ nenne. Dieser kann auf unterschiedliche Weise stattfinden, doch das Resultat ist immer dasselbe: Andere werden sich von dir subtil angegriffen und vereinnahmt fühlen und sich zu wehren beginnen.

Gerade wenn du in der kommenden Festtagszeit mit deinen Liebsten, Freunden und Kollegen zusammenkommst, gilt daher auf der kommunikativen Ebene: Bleib bei dir!

Lass mich drei Arten des sprachlichen Übergriffs anhand von Beispielen, die ich in den letzten Tagen und Wochen erlebt habe, erläutern:

 

„Bleib bei dir“ Nr. 1:
Ist es wirklich deine Angelegenheit?

Es ist eine Sache, wie wir etwas sagen. Eine andere Sache ist, ob wir überhaupt etwas sagen. Es ist in beiden Fällen angebracht, dass wir uns Gedanken dazu machen und uns entsprechend äussern – oder eben schweigen. Das WIE und das OB: Beides ist entscheidend für eine wertschätzende Kommunikation.

In meinem online-Kurs „Komm in deine Mutterkraft!“ gibt es eine Lektion, auf die teilnehmende Mütter jeweils besonders stark reagieren. Die Lektion trägt den Titel „Ist es wirklich deine Angelegenheit?“. Sie beinhaltet einen Auszug aus Robert Betz’ Buch „Raus aus den alten Schuhen!“ (1), der manchen zunächst etwas provokativ erscheint. Betz schreibt darin:

Eine sehr verbreitete Weise, sich ein Leben voller Probleme, Streit, Frustration und Einsamkeit zu erschaffen, liegt in unserer Gewohnheit, uns ständig in die Angelegenheiten anderer Menschen einzumischen, besonders in die der uns Nahestehenden. Dies rührt einerseits aus einem mangelnden Respekt für den eigenständigen Weg des anderen, andererseits daher, dass uns gar nicht bewusst ist, was unsere Angelegenheit ist und was nicht. (…) Immer dann, wenn du dich gedanklich in die Angelegenheit eines anderen Menschen einmischst – hierzu gehören auch dein Partner oder dein Kind -, dann befindest du dich in fremden Angelegenheiten, und das führt immer zu Leiden.

 

Den Weg und die Entscheidung des anderen respektieren

Ist es also deine Angelegenheit, …

  • wenn dein Mann Lust auf ein „ungesundes“ Mittagessen hat oder sich deine fast erwachsene Tochter heute drei Tafeln Schokolade gegönnt hat? Nein.
  • ob die Nachbarin endlich ihren Garten mäht, wo das Wetter dafür heute doch so ideal wäre? Nein.
  • welchen Beruf dein bald der Schulpflicht entwachsener Sohn ergreifen will? Nein.
  • ob dein bester Freund seine Frau betrügt? Nein.
  • dass sich dein Nachbar offenbar nicht an Verkehrs- und andere Regeln hält? Nein!

Es zeugt von Respekt für die Souveränität und die Entscheidungen des anderen, wenn ich mich aus dessen Angelegenheiten heraushalte, solange er mich nicht explizit um Rat ersucht oder im Begriff ist, mir Schaden zuzufügen.

Dass wir uns das Recht herausnehmen, uns in die Angelegenheiten anderer einzumischen, ist objektiv betrachtet seltsam und anmassend. Und doch tun wir es wie selbstverständlich. Denn mit Grenzüberschreitungen wurden wir alle bereits in frühster Kindheit vertraut, indem uns andere – unsere Eltern, die Lehrer, die ältere Nachbarin vom 2. Stock – offenbar sagen durften, was wir zu tun und zu lassen haben. 

Das Kind nicht in seiner Gedankenwelt stören

Diese Art von Grenzüberschreitungen lässt mich jedes Mal an Anastasia denken:

In Band 3 der Anastasia-Bücher von Wladimir Megre – „Raum der Liebe“ – erläutert Anastasia, dass die Wedrussen ihre Kinder nie gegen ihren Willen berühren oder einfach vom Boden aufheben würden – nicht einmal als Baby. Megre schreibt: „Es gilt bei ihnen als unzulässig, sich in die Gedankenwelt des Kindes einzumischen und es bei seinen Erkenntnissen zu stören.“ Stattdessen warten sie, bis das Kind von sich aus nach den Eltern sucht. Anastasia sagt:

„Du magst dich auch nicht daran erinnern, wie du, ein Fürst des Kosmos, als Wickelkind hilflos in deinem Bettchen lagst. Fest zu einem Paketchen zusammengezurrt, musstest du mit ansehen, wie andere mit einem Lächeln entschieden, wann du zu essen und wann du zu schlafen hattest. Du warst sehr neugierig und wolltest alles begreifen. Sie aber warfen dich mit Gejohle in die Luft. (…) Berühren durftest du nur das, was man dir gab. (…) Dann irgendwann wurdest du in deiner Positiion als Fürst des Kosmos das erste Mal erschüttert. Du merktest, dass du selbst gar nichts entscheiden kannst. Du wurdest von denen, die dir das Leben geschenkt hatten, verraten und gabst dich auch selbst auf.“

Niemand hat uns diesen hohen Respekt vor dem Leben und dem Erfahrungsraum eines anderen Menschen beigebracht, wie die Wedrussen und unsere Ur-ur-ur-Ahnen ihn gekannt haben. Stattdessen haben wir alle von Kindesbeinen an erfahren, dass andere über uns bestimmen. Und so kommt es uns ganz natürlich vor, dass auch wir uns anmassen, uns in die Angelegenheiten anderer einzumischen – durch Handlungen, urteilende Gedanken oder sprachliche Äusserungen.

Ich lade dich ein, das zu überdenken – und stattdessen auf all diesen Ebenen bei dir zu bleiben.

 

„Bleib bei dir“ Nr. 2:
Schieb nicht andere vor, wenn es in Wahrheit um dich geht

Eine andere Art des sprachlichen Übergriffs, die mich noch auf die Palme zu bringen vermag, ist es, mit der Sorge um die Befindlichkeit anderer zu argumentieren, statt ehrlich die eigenen Bedürfnisse mitzuteilen.

Lass mich an einem Beispiel erläutern, was ich damit meine:

(Vorbemerkung: Ich liebe meine Mutter sehr! Wir sind beide im gleichen Sternzeichen geboren, und ich mag ihre unkomplizierte und direkte Art. Oft ist sie mir eine Lehrerin, indem sie mir mit ihrer Kommunikation den Spiegel vorhält und mich erkennen lässt, was Sprache in mir auslöst. So auch diesmal:)

Mit meiner Mutter sprachen wir diese Woche darüber, wann und mit wem wir dieses Jahr Weihnachten feiern. Da uns zurzeit eine Wohnung in den Bergen zur Verfügung steht und meine Mutter gerade erst ihr Knie operiert hat, stand bald fest: Wir würden Weihnachten mit den Kindern in der Höhe feiern, während sie „unten“ in der Stadt bleiben würde. Dazu meinte sie: „Vor Jahren hätte ich noch geweint, wenn wir das Fest nicht zusammen gefeiert hätten. Heute komme ich damit zurecht.“

Nur zwei Tage später meinte mein Mann spontan, es wäre doch schön, wenn wir am Vierundzwanzigsten alle zusammen wären. Wir könnten danach ja immer noch in die Berge fahren.

Voller Freude eröffnete ich meiner Mutter die gute Nachricht – und nahm betreten zur Kenntnis, dass ihre Reaktion ganz anders als erwartet ausfiel. Sie schüttelte den Kopf und begann, mir die Gründe aufzuzählen, weshalb das keine gute Idee sei: Jetzt hätten wir doch diese Wohnung, und es sei doch schade für uns, an Weihnachten nicht dort zu sein. Ausserdem schneie es vielleicht, und wir müssten dann so weit mit dem Auto fahren – das sei doch gefährlich und umständlich für uns!


Ihre Angst – nicht unsere, ihr Unbehagen – nicht unseres

Keines dieser vorgebrachten Argumente trifft auf uns zu. Im Gegenteil: Wir hatten uns einfach auf das gemeinsame Fest gefreut! Also fing für mich das Rätselraten an: Was war der wirkliche Grund für die abwehrende Reaktion meiner Mutter?

Dachte sie, wir würden nur ihretwegen auf Bergweihnachten verzichten, und war ihr das unangenehm? Oder war sie in Wahrheit gar erleichtert gewesen, dass der ganze Trubel mit Kochen, Kind und Kegel dieses Jahr an ihr vorbei gehen würde? Hatte sie sich auf ruhige Weihnachten ohne uns mehr gefreut, als sie uns zeigen wollte? Oder hatte sie einfach Angst um uns, wenn wir unter Umständen bei Schneefall im Auto unterwegs sein würden?

Doch das wäre ihre Angst, nicht unsere. Es wäre ihr Unbehagen, nicht unseres.

Noch tappe ich im Dunkeln, worum es ihr wirklich geht. Statt authentisch zu kommunizieren, welche Empfindungen und Bedürfnisse sie hat, projizierte sie etwas auf uns. Das fühlt sich nicht nur wie ein Übergriff an – es hat auch jegliche Freude im Keim erstickt.

Auch hier gibt es meines Erachtens nur eines: Bleib bei dir! Sag, worum es wirklich geht. Sprich von dir aus, erläutere deine Empfindungen. Hab den Mut, zu dir selbst zu stehen, für dich selbst einzutreten!

 

„Bleib bei dir“ Nr. 3:
Meide das Übergriffige WIR

Bleibt der dritte sprachliche Übergriff. Die grammatikalische Vereinnahmung in Form eines WIR.

Als meine Mutter und ich am Frühstückstisch obige Situation zusammen diskutierten, protestierte irgendwann meine Tochter. Sie wolle in Ruhe und Harmonie essen, ohne diese Unstimmigkeiten. Meine Mutter lenkte sogleich mit den Worten ein: „Ist gut, Mia. Ab jetzt sind wir wieder lustig!“

Ich aber fühlte mich nicht danach, „wieder lustig“ zu sein. Das „wir“ war an dieser Stelle wenig angebracht.

Es ist erstaunlich, wie leicht dieses übergriffige WIR vielen über die Lippen kommt: „Wir haben in der Schule heute eine Mathearbeit geschrieben“, sagt der Vater im Beisein seines Sohnes stolz zum Nachbarn. „Wir ziehen uns jetzt eine Jacke an“, sagt die Krankenpflegerin zur Patientin. „Wir gehen jetzt die Zähne putzen“, sagt die Grossmutter zum Enkel.

Auch hier bleibt nur ein Rat: Bleib bei dir! Oder sprich eine klare Aufforderung aus, wenn eine solche gemeint ist: „Ziehen Sie sich lieber eine Jacke an!“, „Geh dir bitte die Zähne putzen!“ oder auch „Lass uns ins Badezimmer gehen, ich helfe dir dort beim Zähneputzen.“

Wie du klare und wirkungsvolle Aufforderungen aussprichst, ist Teil eines jeden meiner online-Trainings, allen voran „Komm in deine Schöpferkraft!“. Denn: Klarheit ist eine Form der Wertschätzung!

Nicht nur so manches Weihnachtsfest, sondern auch das Zusammenleben an allen anderen Tagen des Jahres wird sich harmonischer gestalten, wenn du diese sprachlichen Übergriffe bewusst meidest.

In diesem Sinne: Oh, du fröhliche!

 

(1) Robert Betz (2018): Raus aus den alten Schuhen! So gibst du deinem Leben eine neue Richtung. München: Heyne

(2) Wladimir Megre (2021): Anastasia. Band 3: Raum der Liebe. Zürich: Govinda-Verlag (Neunte Auflage)

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}
>