Dienen ist sowohl in meinem Leben als auch auf Wortebene mit Sklaventum verbunden. Doch wahres Dienen überwindet diesen Aspekt: Es wird dann zu einem Ausdruck innerer Freiheit und Souveränität.

 

Es ist jetzt schon absehbar: Kaum ein Jahr in meinem Leben wird im Rückblick intensiver, mit mehr emotionalen Hochs und Tiefs und mit mehr Transformation verbunden sein als das noch laufende 2025. Astrologisch Interessierte wird das angesichts von Pluto, der in diesem Jahr drei Mal über meinen Mondknoten läuft, wenig wundern.

Gemäss den vielen sich von Carl Jung im Umlauf befindlichen Videos würde dieser den Prozess, in dem ich mich befinde, wohl „Individuation“ nennen (1) : Nie zuvor ging es so sehr darum, meine innere Frau – die Anima – und meinen inneren Mann – den Animus – in ein Gleichgewicht zu bringen. Das geht über den Ausgleich von Geben und Nehmen, Handeln und Sein, Vorwärtsgehen und Loslassen hinaus:

Der Prozess wird darin münden, dass ich vollkommen in meiner Mitte ankomme. Dafür ist erforderlich, dass ich erkenne und ablege, was nicht zu meinem wahren Ich gehört – angeeignete Rollen, Muster und Glaubenssätze. Vieles davon durfte ich im Lauf meines Lebens schon bereinigen. Doch nun fühlt es sich – wie bei so vielen anderen – wie eine Art Grande Finale an. Auch, wenn das innere Wachstum selbstredend weitergehen wird.

 

Die Schatten kommen ans Licht

Ein Aspekt dieser Entwicklung hat sich in den vergangenen Wochen überraschend bemerkbar gemacht. Ein Aspekt, dem ich selbst keine grosse Bedeutung beigemessen hätte. Doch er schlummerte in meinem Unterbewusstsein und nahm dort Einfluss auf mein tägliches Handeln und auf meine Beziehungen. Also war es nötig, ihn an die Oberfläche und in mein Bewusstsein zu bringen.

Genau das geschieht in besagtem Individuationsprozess: Die eigenen Schatten kommen ans Licht. Sie dürfen ausgiebig betrachtet, willkommen geheissen und integriert werden.


Das Thema, das sich also so überraschend zeigte, ist: Die Bereitschaft, wahrhaft zu dienen.

Dienen?

In der heutigen Zeit? Hat das nicht etwas Unterwürfiges? Ist das nicht ein längst überholtes Konzept in Zeiten der Emanzipation, der vermeintlichen Geschlechtergleichheit und der Frauenfussballweltmeisterschaften?

Beschneidet das nicht meine Eigenständigkeit und Souveränität? Ist das nicht unvereinbar mit meiner inneren Herrscherin? Verträgt sich das mit dem aktiven, handelnden Teil in mir, meiner Lösungsorientierung und anderen männlichen Eigenschaften, die ich auch zu meinen Charaktermerkmalen zähle?

 

Ein neues Kniegelenk als Entwicklungshilfe

Wie immer präsentierte mir das Leben die perfekte Situation, um mir das zu integrierende Thema vor Augen zu führen. In diesem Fall war das die Operation meiner Mutter Anfang Oktober: Sie hat ein neues Kniegelenk bekommen und ist nun einige Wochen auf Hilfe angewiesen.

Auf meine Hilfe. Ich habe mich bei ihr einquartiert, um ihr in dieser Zeit den morgendlichen Kaffee zuzubereiten, einzukaufen, zu kochen, den unfassbar engen Stützstrumpf anzuziehen, die ebenso unfassbare Menge an Tabletten zu sortieren und bereitzulegen, sie auf den ersten kleinen Runden ums Haus oder zu ihren diversen Terminen zu begleiten, herunterfallendes Laub zu rechen und den Garten winterfest zu machen.

Dabei stellte ich von Anfang an klar: „Ich helfe dir, aber ich mache es so, wie ich es für richtig halte.“ Ebenso forderte ich sie auf, klar zu kommunizieren, wenn ich etwas für sie tun könne. Ich wolle ihre Wünsche nicht zwischen den Zeilen oder in Aussagen wie „Ups, jetzt habe ich mein Mobiltelefon oben liegen gelassen“ herauslesen müssen.

Doch oh Wunder, trotz meiner Ansagen stiegen vom ersten Tag an subtil die Spannungen. Bis zum unvermeidlichen Punkt, an dem ich gefühlt rund um die Uhr umher rannte – um von meiner Mutter gesagt zu bekommen, ich sei keine gute Krankenschwester. Sie lerne von mir höchstens, schnell wieder selbstständig zu werden. Wie bitte?!

 

Wenn das Bemutternde fehlt

Wenige Tage später wachte ich frühmorgens auf und dachte als erstes daran, dass ich meine Mutter in einer knappen Stunde zu ihrem ersten Besuch in der Physiotherapie begleiten würde. Mir ging dabei auch der Gedanke durch den Kopf, ob sie vielleicht gerne ihre Haare frisch gewaschen hätte. Doch dafür war es jetzt zu spät.

Und im gleichen Moment fielen mir die berühmten Schuppen von den Augen:

Meine Mutter hatte recht!

Wohl fiel es mir leicht, aufzuräumen, zu putzen, die Wohnung und den Rahmen in Ordnung zu halten. Doch ich mied es, mich um sie, um ihre unmittelbaren persönlichen Bedürfnisse zu kümmern. Es kam mir noch nicht einmal in den Sinn, mich wiederholt in ihre Situation zu versetzen und aufmerksam dafür zu sein, was sie für sich brauchte.

Meine oben erwähnten „Regeln“ für meine Unterstützung besagten im Grunde, dass ich mich nicht dafür verantwortlich betrachtete, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Hilfe ja – doch nur ab oder bis zu einem bestimmten Punkt.

Kurz: Mir fehlte das Bemutternde, das Kümmernde, die fürsorgliche Zuwendung zu ihr als Mensch. (2)

 

Dienen = Freiheitsentzug = Sklaventum

Wie immer erzählte ich meiner Freundin davon, die die besondere Gabe hat, jede Begebenheit auf der energetischen Ebene zu betrachten und zu schauen, was ihr wirklich zugrunde liegt. Und wie so oft sagte sie etwas Erstaunliches: „Karin, mir kommt, dass du dienen mit Freiheitsentzug verbindest“.

Mit Freiheitsentzug?!

Und dann hatten wir beide den gleichen Gedanken:

Im Januar 2024 hatte ich eine denkwürdige Sitzung mit einer Frau gehabt, die ebenfalls über eine besondere Begabung verfügt. Auch sie arbeitet energetisch, nur dass sie Bilder von jenen, die zu ihr kommen, in vergangenen bzw. parallelen Leben sieht.

In einem solchen sah sie mich auch: Als stolzen, athletischen, grossen schwarzen Mann. Ich war ein Sklave gewesen und dann befreit worden. Doch er – oder eben ich – hatte diese Freiheit noch nicht verinnerlicht. Er war wie ein Gefangener, der – geprägt von seiner lebenslangen Sklavenschaft – immer noch in seiner Zelle sass und nicht glauben konnte, dass die Zellentüren längst offen standen.

Sie sagte mir damals: „Befreie diesen Sklaven in dir. Sage ihm, dass er frei ist. Dann machst du auch den Weg für dich selbst frei.“

 

Vergessene Gefälligkeiten, tägliches Rotieren

Bis dahin (und offenbar darüber hinaus) hatte der Sklave in mir bewirkt, dass ich nicht mit vollem Herzen dienen konnte. Das hatte direkte Auswirkungen auf mein Leben:

Wenn mein Mann mich um einen Gefallen bat, ihm zum Beispiel einen Tee zuzubereiten, dann vergass ich diesen in den meisten Fällen direkt wieder. War er krank, liess ich ihn in Ruhe schlafen und sich erholen. So erklärte ich mir meine seltenen Nachfragen, wie es ihm gehe und ob ich etwas für ihn tun könne. Ich reagierte mit innerer Ablehnung auf seinen Wunsch, von mir bemuttert zu werden.

Mir war auch immer klar, dass ich unmöglich als Pflegerin in einem Krankenhaus oder Altersheim hätte arbeiten können.

Viel einschneidender jedoch war meine unbewusste innere Abwehr zum Dienen während der Zeit, in der Ben und Mia noch klein waren. Wohl gab ich als Mutter alles! Ich war rund um die Uhr für die beiden da, kochte Brei, wechselte Windeln, ging auf den Spielplatz, traf mich mit anderen Müttern und ihren Kindern, organisierte Geburtstagspartys, setzte sie aufs Töpfchen oder in die Badewanne. Ich war jahrelang 24/7 als Anlaufstelle verfügbar.

 

Das Resultat von Dienst mit innerem Widerstand: Die totale Erschöpfung

Doch diese Jahre forderten ihren Tribut. Ich war konstant erschöpft und brach oft in Tränen aus: Zum Beispiel wenn mein Mann eine Stunde später von der Arbeit zurückkam; wenn ein Kind aus dem Mittagsschlaf aufwachte, weil das andere zu laut zur Tür hereingekommen war; wenn unser Sohn zum wiederholten Mal in einer Nacht unser Schlafzimmer aufsuchte; und einmal sogar, als er mich einfach bat, ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen.

Die Erfahrungen dieser Zeit haben mich viel gelehrt. Ich habe sie in mein online-Training „Komm in deine Mutterkraft!“ einfliessen lassen, wo sie jetzt wiederum anderen Müttern helfen.

Bezeichnend war auch, dass mir für meine viele Arbeit gefühlt wenig Wertschätzung entgegengebracht wurde. Manchmal bekam ich zu hören, dass das Staubsaugen wohl mein „Hobby“ sei. Und ich hörte mich selbst oft sagen, ich sei „doch nicht ein Sklave“.

Etwas überspitzt gesagt fühlte ich mich, als wäre ich in diesen Jahren in Ketten gelegt worden. Heute weiss ich, woher dieses Gefühl rührte.

 

Das Wort dienen stammt von „Sklave, Knecht“ ab

Interessanterweise besteht zwischen dienen und einem Sklaven nicht nur in meinen Leben, sondern auch auf Wortebene ein Zusammenhang. Ein Blick auf die Herkunft des Wortes zeigt: (3)

Genau wie die Begriffe Service, servir (franz.), servire (ital.), to serve (engl.) oder der österreichische Gruss „Servus“ direkt von lat. servus für ‚Sklave‘ abstammen, so lässt sich auch dienen vom germanischen *þewa- für ‘Sklave, Knecht’ ableiten.

Gehen wir einen Schritt weiter, so sehen wir, dass dieses Wort *þewa- für ‘Sklave, Knecht’ möglicherweise auf die indoeuropäische Wurzel *teku– zurückgeht. Dieses steht für ‚laufen’ oder ‚fliessen’.

Ja, ein Knecht läuft viel, was ihn zum Diener macht.

Doch: Fängt der wesentliche Gedankengang hier womöglich erst an?

 

Dienst am anderen, Dienst an mir

Wie gewagt ist die Schlussfolgerung, dass das Leben erst ins Laufen kommt, wenn wir lernen, wahrhaft zu dienen? Wenn wir, egal ob Mann oder Frau, wahrhaft bemuttern und die Menschen in unserem Leben mit Freude umsorgen – in voller Integrität, ohne jede Aufopferung, sondern aus freiem Willen und unserer Mitte heraus? (4)

Kann es sein, dass wir erst dann im Fluss sind, wenn wir aus vollem Herzen geben? Dass sich unsere Anima erst dann voll entfaltet, wenn wir den Dienst am anderen als natürlichen Bestandteil in unser Dasein integriert haben?

Ich für meinen Teil beantworte diese Fragen heute mit einem Ja. Wahrhaft zu dienen ist gleichbedeutend damit, ein offenes Herz zu haben und in der Liebe zu sein. Es ist für meine persönliche Entfaltung zentral, dass ich dieses Thema in mein Leben integriere.

Das Übungsfeld hat mir das Universum direkt mitgeliefert. Mir steht noch etwas Zeit mit meiner Mutter bevor. Für diese bin ich mehr als zuversichtlich. Denn seit dem Tag meiner Erkenntnis haben sich alle Spannungen weitgehend aufgelöst. Ich begegne meiner Mutter ganz anders – und sie mir dadurch auch. Sie ist dankbar für das, was ich bin und gebe. Und für mich ist es viel leichter geworden, mich auf sie und ihre Bedürfnisse einzulassen.

Ihr Kaffee steht jetzt häufig schon auf dem Tisch, wenn sie morgens in die Küche kommt. Ausser, wenn ich mal länger schlafe. Das ist vollkommen in Ordnung. Denn nebst dem Dienst an anderen vergesse ich nicht den Dienst an mir selbst. Bei dem fängt nämlich alles an ;-).

 

Ergänzungen und Erläuterungen:

  1. Dieses Carl-Jung-Video geht auf den Prozess der Individuation ein. Ich betrachte die Idee der „auserwählten Wenigen“, die diesen Prozess durchlaufen, kritisch. Auch bin ich mir bewusst, dass bei der Erstellung des Videos Künstliche Intelligenz im Spiel ist, der ich ebenso kritisch gegenüber stehe. Der Inhalt jedoch entspricht direkt meiner Erfahrung und beinhaltet aus meiner Sicht eine tiefe Weisheit. Ich habe diesen scheinbaren Widerspruch für mich selbst noch nicht ganz aufgelöst.
    Die Untertitel sind übrigens bestimmt KI-generiert und weisen beachtliche Schreibfehler auf, die ich dich auszublenden bitte (auch, wenn es schwerfällt…). 

  2. Meine Freundin Nadja Marija Liechti hat den Aspekt des Dienens und Bemutterns in einem eigenen Blog aus ihrer energetischen Sicht beschrieben. Er ergänzt den vorliegenden Beitrag wunderbar, weshalb ich ihn sehr zur Lektüre empfehle!

  3. Etymologische Erläuterungen im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache DWDS: https://www.dwds.de/wb/dienen

  4. Erich Fromm beschreibt das Geben in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ als mindestens ebenso bereichernd wie das Erhalten (Zusammenfassung). Dieses Buch stand ganz am Anfang meiner spirituellen Entwicklung vor rund zwanzig Jahren – einer von vielen Kreisen, die sich schliessen.

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